Karolinas Schlaf

Libretto: Bengt Emil Johnson

Übersetzung: Barbara Olsson & Bo Olsson

 

1.

Hier fährt die Landschaft vorbei,

durchfährt mich so, wie ich die Landschaft durchfahre.

Was ist das Äußere und was ist das Innere?

Ich frage nicht, die Antwort wäre ohne Sinn.

Hier ist eine (Ober)Fläche und ich fahre darauf,

es gibt eine Tiefe und ich fahre darüber

Ohne davon zu wissen, ohne zu fragen

Nach Fläche oder Tiefe.

Hier ist der Wind, der von vorn auftrifft und verfolgt.

Hier ist das Licht, das keine Fragen stellt

Nach Tiefe oder Dunkelheit.

Hier bin ich, die nicht fragt,

Sondern fährt oder an der man vorbeifährt.

Hier ist das Licht, das durch mich geht,

Aufnahme um Aufnahme.

Es geht schnell, davon genug,

aber gleichzeitig herrscht Stille

In der Bewegung, in dem selbstverständlichen Wind,

der abwechselnd (von vorn) auftrifft und verfolgt.

Es geht etwas vor

Und geht vor in seiner wirbelnden Selbstverständlichkeit.

Es gibt eine Tiefe, es gibt ein Licht,

es gibt Wesen, bewaldete Landzungen, schimmerndes Eis,

es gibt eine Freiheit im Fahren,

es gibt ein Vergessen im Fahren.

 

2.

Und jetzt nimmt alles zu, das Durchströmen,

der Wind, der plötzlich von überall gleichzeitig kommt. Das Äußere und das Innere fallen zusammen,

Konturen der Landschaft lösen sich auf, das Licht

wird etwas, das nicht länger dem Licht gleicht.

Über den Fall selbst kann man nicht sprechen,

er passiert, weit weg von Vernunft und Willen.

Es ist die Zeit, die aufhört zu sein,

Es ist der Raum, den es nicht länger gibt.

Ich bin es, die mit dem Wind fortwirbelt,

obwohl auch der Wind nicht mehr ist.

Eine Dunkelheit und eine Stille,

Und nichts kann mehr vorher

oder nachher genannt werden. Ich bin es, die verblasst

vor mir selbst.

Über den Fall selbst kann man nicht sprechen.

Er geschieht und er ist ohne Umkehr.

 

 

3.

Ich weiß, wo ich bin.

Ich wurde hergebracht und sehe, wohin ich gekommen bin.

Ich war hier früher,

aber damals war ich eine Andere.

Jetzt bin ich vielleicht umso mehr ich…

Ich tappe nach dem, das Ich genannt wird,

ich sehe, dass ich zu Hause bin, wenn auch fremd.

Es gibt eine Fläche und es gibt eine Tiefe.

Ich höre, dass Stimmen über die Fläche klingen,

aber die Fläche ist undurchdringlich.

Ich sehe wie durch Schichten aus Glas.

Ich kenne alle hier – aber nicht mich.

 

4.

Und die Außenstehenden,

jene die wussten, dass sie sie kannten,

sie kennen jetzt nur ihren Namen: Karolina.

Sie rufen ihren Namen: Karolina,

aber bekommen keine Antwort, oder eine Antwort,

die sie nicht deuten können.

Es gibt Erinnerungen,

aber sie geben keine Hilfe.

Ratlos sehen sie ihre Gestalt,

so wohlbekannt, so fremd.

Sie sprechen mit einander über Karolina,

doch sind es ihre Erinnerungen, über die sie sprechen.

Was sie selbst betrifft, versuchen sie, aus sich zu treten.

Jeder Einzelne hat sein eigenes Jetzt.

Doch hier ist ein Jetzt, das sich nicht teilen lässt.

Sie rufen oder murmeln: Karolina…

Doch sie ist anderswo.

 

 

5.

Ruhend – nein: versunken –

in einer neuen Art Aufmerksamkeit

sinkt sie nun immer tiefer

in das, was ihr Inneres ist.

Vielleicht ihr wahreres Ich.

Die untere Welt ist nicht unwahrer

Als die obere, die Fragen über Oberfläche und Tiefe

Sind nie sinnvoll zu beantworten.

Der Atem wird langsam,

das Leben passiert aber verlangsamt sich

vielleicht zu einer höheren Wirklichkeit.

Es ist eine große Ruhe,

eine ungeahnte Freiheit, eine Sicherheit

ohne Grenze. Die Stimmen hört sie,

der Name, den sie trägt, ist bekannt

aber das berührt sie hier nicht

in diesem Jetzt, das sich plötzlich ausdehnt

und sie in eine größere,

allumfassende Gemeinschaft führt.

 

 

6.

Nennt das bloß nicht „Schlaf“.

Ich stehe manchmal auf aus dieser Ruhe.

Ich weiß, dass viele mich sehen, wo ich mich bewege,

aber das berührt mich nicht, ich bin unberührbar.

Vielleicht bin ich mehr denn je ich selbst,

vielleicht bin ich Teil von etwas Größerem geworden.

Ich frage nicht, wer meine Schritte lenkte,

Ich fiel und bin gelandet in mir selbst.

Bilder strömen vorbei und durch mich,

oder ich fahre durch sie.

Ich sehe Gestalten, solche die ich kenne

Und solche, die ich nie gekannt habe,

Doch gleichwohl dunkel wieder kenne.

Es wirbelt wie früher auf dem Eis,

Landschaft, die ich gesehen habe

Und Landschaft, die ich nie gesehen habe

Doch gleichwohl dunkel wieder kenne.

Ich halte mich auf in strahlender Dunkelheit,

voller Leben und Bewegung und ich bin dabei,

obwohl ich in meinem Körper ruhe.

 

 

7.

Ganz unten in meiner Tiefe hat die Zeit aufgehört.

Hier herrscht keine Jahreszeit, kein Wind,

Der mir entgegenschlägt oder mich voranträgt.

Und was wir Erinnerung nennen – was ist das?

Alles was geschehen ist, alles was geschehen wird,

Ist hier in der Tiefe, wo ich bleiben will.

Ich lebe und ich atme, ich höre,

wie das Herz schlägt. Ich höre ohne zu hören.

Ich sehe ohne zu sehen. Ich weiß, dass man meint, ich

sei abwesend. Aber nirgends

war ich so nahe dem, was wir „hier“ nennen.

Obwohl jetzt nichts auszumachen ist,

Aus allem, was lebt und passiert,

Jenseits von jedem hier und jetzt.

 

8.

In meiner strahlenden Dunkelheit tastet

ein Strahl eines anderen Lichts.

Ein Signal, das sich ausstreckt nach einer,

die einmal meinen Namen trug.

Ich zögere vor diesem sanften Ruf.

Ich war in mir – was soll mir noch die Oberfläche?

Das Leben, das ich kenne, ist jenseits von allem Glas.

Soll die Zeit mich noch einmal einfangen,

soll die Gemeinschaft mit einem größeren

und reicheren Dasein verlassen werden?

Es gibt ein Zögern in mir,

vielleicht gehört es mir.

 

9.

Was ist bloß geschehen?

Ist hier Zeit verflossen?

Neulich brach ein Licht durch

Und jetzt sehe ich, wo ich bin.

Ich weiß, dass ich weg war,

ich weiß, ich war daheim,

mehr als je zuvor.

Ich sehe, wie das Licht strömt,

ich fühle den Puls der Zeit.

Ich höre, ich sehe, und alles ist wahr,

Aber nie wie zuvor.